Exkurs1: örtliche und zeitliche Gegebenheiten 1920
Bevölkerung: Söflingen hatte sich binnen 100 Jahren von einem beschaulichen, fast rein katholischen Dorf mit 1500 Einwohnern zur Ulmer Vorstadt (Eingemeindung 1905) mit einer Bevölkerung von 5500 – davon 2000 evangelisch – vervielfacht. Bereits in der Oberamtsbeschreibung von 1897 war festgehalten worden, die Söflinger hätten „mehr von städtisch-gewerblicher als von ländlich-bäuerlicher Art an sich […] und die Söflinger Gärtnerstöchter sehen, auch wenn sie Haue und Spaten auf der Schulter tragen, wie Städterinnen aus, welche in keinem Augenblick das Äußere versäumen wollen.“ In Zahlen ausgedrückt:

Kirche: Die Gründung der evangelischen Gemeinde datiert auf das Jahr 1876. 1898/99 folgten der Bau und die Einweihung der Christuskirche, interessanterweise hart an der Grenze, aber eben nicht auf Söflinger, sondern auf Ulmer Gemarkung.
1. Weltkrieg (1914-18): Obwohl die Kämpfe des verlorenen Kriegs fernab stattgefunden hatten, waren die politischen, ökonomischen und sozialen Folgen doch erheblich: politische Unruhen, Streiks, Umstellung der Kriegswirtschaft, Reparationen, Rohstoff- und Nahrungsmangel, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und – auch wenn die Hyperinflation erst noch kommen sollte – so gab es doch schon eine massive Geldentwertung.
Die Idee, trotz aller Erschwernisse in Söflingen einen Posaunenchor zu gründen, ersannen die musikbegeisterten Freunde Gottlob Bausch (18) und Jakob Jakober (16) auf einer Brücke über das Flüßchen Blau. Stadtpfarrer Eugen Traub reagierte im Frühjahr 1920 zunächst ablehnend – zum einen, weil es bereits in Ulm einen Posaunenchor gab und zum anderen, weil die Zeiten schlecht, Musikinstrumente und Noten teuer waren. Priorität hatte die Beschaffung neuer Glocken, da zwei von drei im Krieg zum Einschmelzen weggebracht worden waren. Außerdem besaß der evangelische Jünglingsverein mit der Streichmusik und dem Fußball schon zwei Abteilungen – aus Sicht des Pfarrers völlig ausreichend. Dieser brachte das Anliegen dennoch vor gewisse Kreise. Der aus der Schweiz stammende vermögende Textilfabrikant sowie langjährige Kirchengemeinderat Ulrich Steiger sen. stellte wenige Monate vor seinem Tod eine größere Geldspende in Aussicht und alle Bedenken waren verflogen. (Die mechanische Weberei Steiger & Deschler zählte 1926 rund 800 Beschäftigte).

Pfarrer Eugen Traub und Fabrikant Ulrich Steiger
So konnte im Oktober 1920 im Pfarrhaus eine Gründungsversammlung mit elf Teilnehmern zusammentreten. Ihr gehörten an: Pfarrer Traub als 1. Vorsitzender, Mesner Georg Duckeck als 2. Vorsitzender und künftiger Dirigent, Gottlob Bausch, Eugen Bayh, Wilhelm Bayh sen., Wilhelm Bayh jun., Georg Gröner, Andreas Jakober, Jakob Jakober, Georg Mall und Christian Schacher.
Posaunenchor Söflingen
Georg Duckeck, 41jähriger Frisör und seit kurzem Mesner (wobei bei seiner Einstellung als einziger Kandidat gewisse Bedenken hinsichtlich seiner Gesundheit und SPD-Mitgliedschaft aufkamen), leistete mit „gestrengem Regiment“, viel Geschick und Sachverstand die musikalische Aufbauarbeit. Von anfangs 40 aus dem Söflinger Jünglingsverein stammenden „Zöglingen” blieben dem Chor 20 erhalten. Zu Beginn mußten sich fünf Schüler ein Instrument teilen. Geprobt wurde viermal wöchentlich 1-2 Stunden stehend im Gemeindesaal des damaligen Pfarrhauses. Dessen Herr schilderte im Gemeindeblatt die Klänge von „schwer zu beschreibenden Tönen und Tonleitern“.
Zu den ursprünglich gestifteten 2000 gingen im Gründungsjahr weitere 1586 Mark als Gaben für den Posaunenchor ein. Trotzdem mußte der Jünglingsverein für die weitere Ausstattung Schulden aufnehmen.
Am Weihnachtsmorgen spielten Georg Duckeck, die vier vom Ulmer Posaunenchor übergewechselten Söflinger Eugen Bayh, Wilhelm Bayh, Georg Gröner und Andreas Jakober sowie Gottfried Mall als einziger, beneideter Novize erstmals vom Turm der Christuskirche. Das alte „Es ist ein Ros entsprungen“ erfüllte viele mit einer Weihnachtsstimmung wie lange nicht mehr. (Das Turmblasen an kirchlichen Festtagen war die Bedingung der Steiger‘schen Stiftung. Um im Winter das Einfrieren der Ventile zu verhindern, wurden sie mit einer Lötlampe aufgewärmt.)
Zur Choralmusik der Gottesdienste gesellten sich nach und nach Volkslieder und Märsche, später auch leichte Konzertstücke, wofür 1921 Trommeln (groß/klein), Becken und Triangel angeschafft wurden. Mit dieser – bei den Bläsern weitaus beliebteren – Literatur ließen sich, neben Gemeindeveranstaltungen (bspw. das sommerliche „Kirschenfest“ im Maienwald für die Sonntagsschulkinder), außer der Bundeskonferenz des „Süddeutschen Jungmännerbundes“ in Ulm ebenso säkulare Veranstaltungen wie der Fahnenweihe des Söflinger Sportvereins bestreiten. Außerdem waren ein Ausflug des Jünglingsvereins nach Blaubeuren, die Gedenkfeier für die Gefallenen des Weltkriegs und Ständchen öffentlicher oder privater Natur zu verzeichnen.
Glücklicherweise gelangten Eskapaden ohne Wissen des Dirigenten, etwa ein spontaner Festzug nach einem Fußballspiel in Jungingen mit anschließendem Wirtshausmusizieren, nicht zu Ohren des Vorstands; vermutlich wäre die Geschichte der Vereinigung bereits nach einem Jahr zu Ende gewesen.
Zu Jahresbeginn 1922 wurde ein detaillierter Strafkatalog für Zuspätkommen, unentschuldigtes Fehlen und Vergessen von Noten oder sonstigen Gegenständen erstellt.
Im März konnte vor vielen Besuchern im Gasthof „Lamm” (später umbenannt in „Schlößle”) schließlich das erste richtige Konzert gegeben werden, welches sich über vier Stunden erstreckte. Weiter standen als größere Ereignisse an: der Festzug des „Schwäbischen Bauerntages” (wobei beide Felle der großen Trommel der Sonne nicht standhielten und rissen; ihr Ersatz kostetet soviel wie das gesamte Schlagzeug ein dreiviertel Jahr zuvor), die Glockenweihe der Christuskirche, in den historischen Ulmer Stadtsoldatenuniformen das „Schwäbische Sängerfest” (erster Einsatz eines Holzblasinstrumentes: Klarinette), die 100-Jahrfeier des Liederkranz Söflingen und schließlich die Landeskonferenz der Jungmännervereine in Friedrichshafen. Infolge des nicht immer christlichen Verhaltens der hiesigen Abgesandten trudelte ein paar Tage später ein Beschwerdebrief ins Söflinger Pfarrhaus ein …
Selbiges hatten die Bläser bereits ein Jahr vorher zur Schonung der Familie Traub verlassen müssen und waren für ihre Übungsstunden in die Sakristei verbannt worden.
Musik wird oft nicht schön gefunden, / weil sie stets mit Geräusch verbunden. (Wilhelm Busch)
Das Gemeindeblatt vom August informierte über Ausflüge der Jugendvereine. Dem schriftleitenden Pfarrer war es „eine besondere Freude, aus einem Bericht die Tatsache feststellen zu dürfen, daß ein Teil auch unserer Söflinger Jugend es lernt, an der Natur sich zu vergnügen auch ohne den Alkohol und den Festschmaus im Gasthof als letztes und höchstes Ziel im Auge zu haben. […] Wir lassen zuerst den Mädchenverein erzählen.“ Gewissermaßen als Kontrast folgte ein „launig gehaltener Bericht über den Ausflug des Posaunenchors“ ins obere Filstal. Freilich verschwieg dieser wohlweislich, daß Dirigent Duckeck zwecks Ausnüchterung seiner Truppe mit Marschmusik inklusive vieler Umwege durch ganz Geislingen zog und anschließend zum weiteren Ausschwitzen das Erklimmen der Berge empfahl.
Die Jahre bis 1923 prägte die Inflation. Die Mitgliedsbeiträge reichten nicht aus, um Instrumente und Noten zu beschaffen. So zogen die jungen Musiker mit Leiterwägen in die umliegenden Dörfer (v.a. Harthausen, Ermingen, beide katholisch) und sammelten bei Bauern Spenden in Form von Getreide, Kartoffeln und Altmetall.
Die eigenmächtigen Sammlungen (auch in monetärer Form) wurden vom Kirchengemeinderat gerügt, ebenso die Tendenz, sich vom Jünglingsverein abzuspalten sowie die bei der Mehrzahl der Musiker festzustellende „bedenkliche Neigung zum Wirtshausbesuch“ – u. a. kehrte man nach jeder Probe im nahegelegenen „Hasen” ein. Womöglich rührte diese besondere Sorge Pfarrer Traubs daher, weil er, nebenbei bemerkt, Vorsitzender des „Vereins für Jugendgerichtshilfe und Jugendfürsorge“ war und das schlimmste befürchtete. Dem Chor drohte die Auflösung.
Im März 1923 kam es aber zur Umwandlung in die „Musikkapelle Söflingen (Posaunenchor)“. Nicht zuletzt aus finanziellen Erwägungen heraus war nun die Aufnahme passiver Mitglieder möglich. Paragraph 4 der neuen Vereinssatzung lautete: „Mitglied kann jede unbescholtene männliche oder weibliche Person werden, ohne Rücksicht der Konfession”. Mittlerweile besaß die Kapelle aufgrund ihrer vielzähligen Auftritte einen hohen Bekanntheitsgrad in der überwiegend katholischen Vorstadt Söflingen (1925: 62%), und so gelang es dem Verein, schon im ersten Jahr 157 Fördermitglieder zu werben.
In einem Vertrag mit der Kirche wurden die Trennung vom Jünglingsverein, die musikalischen Pflichten und die Überlassung der Instrumente und Noten geregelt; in einem weiteren das Verhältnis zwischen dem Dirigenten und den Chormitgliedern. Ersterer erhielt erstmals ein festes Honorar.
Am 30. Dezember fand – auch zur Einbindung der passiven Mitglieder – die erste Vereinsweihnachtsfeier im „Ochsen” mit Musik und Theater statt. Im folgenden Jahr wurde das Gasthaus als Vereinslokal auserkoren.
Am Dreikönigstag 1924 wies der bei einer Vollversammlung vorgetragene Kassenbericht 107,92 Mark und 17 Pfund wertbeständiges Mehl auf. Die Einrichtung einer „Leggeldkasse“ (gesammelte Einlagen der beteiligten Mitglieder bei der Sparkasse) trug zusätzliches Geld in Form von Zinsen ein.
Mit der konkurrierenden „Feuerwehrkapelle Söflingen“ wurde in einem Verpflichtungsvertrag bezüglich bezahlter Auftritte ein Einheitstarif vereinbart. Die Vereinbarung sollte aber seitens der FWK nicht eingehalten werden…
Zum 1. Mai trat die Musikkapelle dem 1911 gegründeten „Süddeutschen Musikerverband” (heute „Blasmusikverband Baden-Württemberg“, aber damals nach Bayern ausgreifend) bei, wodurch Kontakt zu anderen Musikvereinigungen entstand. Im Juni brachte das Musikfest des Bezirks III (Donau) in Klingenstein einen großen Erfolg für die jungen Söflinger: von 16 Bewerbern erzielten sie mit dem Preisstück “Orientalische Lustspiel-Ouvertüre” von L. Gärtner und Mozarts „Ave verum corpus” als Wochenchor nach der Stadtkapelle Blaubeuren die zweithöchste Punktzahl! Damit ließen sie einige arrivierte und z. T. weitangereiste Orchester hinter sich. In diesem Zusammenhang bewies der Leiter der Ulmer „Kapelle Golias“, daß es bei den Musikfesten nicht immer friedlich zuging: er zerriß sein Preisdiplom und erging sich in wüsten Schimpftiraden, welche dem Preisgericht, bestehend aus August von Nessen (1929-39 Dirigent des MV Söflingen), einem weiteren Obermusikmeister a. D. und einem Musikdirektor, Voreingenommenheit unterschoben. In der Vorbereitung hatten nahezu tägliche Einzel- und Registerproben im Wohnzimmer des Dirigenten stattgefunden. Dem jüngsten Musiker war hierbei die Aufgabe oblegen, bei Erschöpfungserscheinungen des Lehrmeisters mit einem Krug bewaffnet zur Kronenbrauerei zu eilen und nach einem kräftigen Schluck und einer ebensolchen Brise Schnupftabak ging es um so schwungvoller weiter. Alle Instrumente waren vom Musikhaus Reisser instandgesetzt und in einheitliche Stimmung gebracht worden. Unmittelbar vor dem Auftritt hatten die beiden Solisten an der Trompete und am Tenorhorn von Duckeck ein „Viertele“ genehmigt bekommen.
Die damalige Besetzung:

hinten: Gottfried Mall, Hermann Braun, Eugen Hofmann, Ludwig Hirning, Eugen Gansloser, Karl Gubler, Eugen Strobel, Karl Weber, Alfred Röthel, Paul Mohring; mitte: Gottlob Bausch, Willy Wäger, Jakob Jakober, Georg Duckeck, Andreas Jakober, Eugen Fraidel, Heinrich Gansloser; vorne: Karl Dauner, Hans Wilhelm
In einem Doppelkonzert mit der Kapelle des III. Jägerbataillons des Infanterieregiments 13 auf der Wilhelmshöhe drückte dessen Musikdirektor, der in Ulm hochgeachtete Gotthard Nauber, den Söflinger „Dilettanten“ (im Sinne von „Laien“) seine persönliche Anerkennung aus.
Nicht nur in der Vorstadt Söflingen und in Ulm häuften sich die Auftritte (z. B. Feste anderer Vereine oder die überaus beliebten „Gartenkonzerte“ in Wirtschaften wie der „Chaussee“), auch außerorts war man auf das disziplinierte und leistungsfähige Orchester aufmerksam geworden: 1925 wurde der Musikdienst zur Einweihung eines Sportplatzes in Geislingen/Steige übernommen.
Politisch war die Vereinigung der Neutralität verpflichtet und prinzipiell jeder Partei musikalisch dienlich. So schlüpfte man bei einer Kundgebung des „Reichsbanners“ (SPD, linkslib. Deutsche Demokratische Partei, kath. Zentrum) stilgerecht in dessen Uniformen.
„Dirigentenkrise“: Im Gemeinderatsprotokoll ist vermerkt, daß der Posaunenchor seinen kirchenmusikalischen Verpflichtungen bisweilen recht unmotiviert nachgekommen sei. Nun allerdings sah sich Dirigent Georg Duckeck zum Rücktritt genötigt, weil er glaubte, gesundheitlich „allerlei Schwierigkeiten“ nicht mehr gewachsen zu sein und reichte die Kündigung zum Jahresende ein. Er erklärte sich jedoch bereit, zu „rein kirchlichen Zwecken“ einen neuen Chor „mit älteren Leuten“ zu gründen. Folglich stellte sich die Frage, ob Pfarrer Traub als Vorstand der Musikkapelle ebenfalls sein Amt niederlegen solle. Zunächst wurde aber die Bedingung gestellt, der Chor müsse fortan ausschließlich evangelisch-kirchlichen Zwecken dienen. Im Falle einer Weigerung seien die Instrumente zurückzugeben und bei Beschädigungen die Kapelle haftbar zu machen.
Was sich in den Jahren zuvor schon angedeutet hatte und 1926 mit der Vereinbarung zur Reduzierung der „geschäftlichen” Auftritte, häufigeres Spielen in der Kirche und für die Gemeinde sowie zur leichteren Entfernung „mißliebiger Elemente” durch den Dirigenten (Rücknahme seiner Kündigung; er erhielt drei Monate „Gesundheitsurlaub“), gerade noch entschärft werden konnte, führte 1927 – im verflixten siebten Jahr – endgültig zum Bruch. Der Kirchengemeinderat sah im Posaunenchor eine „in erster Linie weltliche, um Geld spielende Kapelle” und „Unbotmäßigkeiten einzelner Mitglieder”, welche den Dirigenten nötigten, zweimal das Turmblasen zu unterlassen. Weil die meisten Musiker trotz aller gehegten Achtung die „Diktatur” Duckecks leid waren und „verschärfte Einzelverträge” mit ihm ablehnten, was diesen wiederum veranlaßte, endgültig seinen Rücktritt zu erklären, kündigte der Kirchengemeinderat den 1923 geschlossenen Vertrag zum 1. Mai, forderte das ihm gehörige Inventar zurück, verbot die weitere Benutzung des Gemeindesaals und ersuchte um die Entlassung des Pfarrers aus der Vorstandschaft. Bis dato sei man der negativen Entwicklung nur nicht entschiedener entgegengetreten, weil es an Mitteln zur Dirigentenentlohnung und Instrumentenreparatur gefehlt habe. Die letzten Klänge als Posaunenchor waren „Stille Nacht“ am späten Heiligabend vom Turm gewesen.
Exkurs2:
Zu jener Zeit existierten 21 Vereine , welche das soziale Leben Söflingens dominierten – jedenfalls das männliche von jung bis alt. Exakt synchron zur Trennung Kirche/Posaunenchor las Pfarrer Traub seiner Gemeinde gründlich die Leviten. Neben vielem anderen kritisierte er „das geradezu ungesund aufgeblähte, mit Wirtshaus und Alkohol unzertrennlich verbundene Vereinsleben in unserer Vorstadt“ und das schlechte Beispiel der Erwachsenen für die Jugend: beides stumpfe bei ihr die feineren Saiten des Gemütes ab und mache für Höheres und Wichtigeres unempfänglich. Wirte und Kaufleute waren übrigens im eigenen geschäftlichen Interesse natürlich in möglichst vielen Vereinigungen Mitglied. Es konnte also sein, daß sich hier am Monatsende immer bis zu 20 „Vereinsdiener“ die Klinke in die Hand gaben um den Beitrag, ca. 50 Pfennig, zu kassieren.
Musikverein Söflingen
Bereits vor Ablauf dieser Frist kam es am 6. Februar 1927 in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zur Gründung des nunmehr weltlichen „Musikvereins Söflingen“, welcher Schneidermeister Wilhelm Röser (zuvor Vorstand des Sportvereins) zum ersten, das passive Mitglied Fritz Hofmann zum zweiten Vorsitzenden wählte. Neuer Kapellmeister wurde der ehemalige Militärmusiker Adolf Biensch, der als „Stehgeiger” und musikalischer Leiter – zu Zeiten des Stummfilms – im Kino „Centraltheater” tätig war. Von ihm stammt der heute noch gebräuchliche „Musiker-Tusch”.
Nach Verhandlungen mit dem Kirchengemeinderat erwarb der Musikverein ein paar Monate später einen Teil der Noten für 10 Reichsmark, schließlich noch das Schlagwerk.
Die Proben fanden im Vereinslokal, dem „Ochsen“ der Familie Schick, welche dem Verein sehr zugetan war, statt.
Dort bildete Ende Februar die Faschingsunterhaltung den ersten öffentlichen Auftritt unter der neuen Leitung. Für Aufsehen sorgte die bei einem Standkonzert im Klosterhof Ende März erstmals getragene Uniform, welche aus einem blauen Anzug, einem weißen Stehkragen mit schwarzem Querbinder und einer blauen Schildmütze bestand.
Ungeheuerliches geschah am 3. Juni: Im Gemeindeblatt wurde später heftigst Anstoß daran genommen, daß der aus einem evangelischen Jünglingsverein hervorgegangene Musikverein ausgerechnet für die Fronleichnamsprozession („Triumph der siegreichen Wahrheit über Lüge und Ketzerei“) die Musik stellte. Von katholischer Seite sei zu erfahren gewesen, man habe darüber den Kopf geschüttelt und hätte umgekehrt etwas ähnliches natürlich niemals gemacht.
Anläßlich des 5. Bezirksmusikfests in Laichingen stifteten die ansässigen Leinenfabrikanten einen „Industrie-Wanderpreis” in Form eines silbernen Pokals. Dieser sollte solange „wandern”, bis ihn eine Kapelle dreimal gewonnen hatte (die Frage, welcher das gelingen sollte, ist rein rhetorischer Natur …). Mit G. Meyerbeers „Fackeltanz Nr. 1″ erreichten die Söflinger in der Oberstufe, der damals höchsten von drei, einen 1a-Preis, lagen punktemäßig aber hinter der Stadtkapelle Blaubeuren und dem Orchesterverein Ulm/Neu-Ulm. Beim Empfang in der heimatlichen Vorstadt war jedenfalls ein Großteil der Einwohnerschaft auf den Beinen. Aus diesem dreitägigen Fest heraus entstand die jahrzehntelange Freundschaft zum Musikverein/Stadtkapelle Laichingen, ein ebenso solch besonderes Verhältnis zum Musikverein Klingenstein kurz darauf.

Doping? Rettich aus Söflinger Erzeugung diente 1927 zur Stärkung beim Musikfest in Laichingen
Die allgemeine Aufwärtsentwicklung sollte durch die erneute Gründung einer Zöglingsabteilung unterstützt werden. Die Bewerber erhielten bei Biensch Einzelunterricht und mußten im Herbst eine theoretische und eine praktische Prüfung absolvieren, welche 13 Jungen bestanden.
Im Spätherbst erlag der überaus beliebte 1. Vorsitzende Röser einer „heimtückischen Krankheit“, gefolgt von einer schweren Lungenentzündung. Laut Vereinschronik weilte er noch in Fieberfantasien bei seinem Verein und den Musikern!
Bei der Weihnachtsfeier debütierte die Streichmusikabteilung, welche (noch klein) aus Klavier, drei Violinen, je einer Flöte, Trompete und Posaune sowie zwei Schlagzeugern bestand.

Wilhelm Röser, Albert Schreiber und Georg Lude
Zum neuen 1. Vorsitzenden wurde 1928 auf der Jahreshauptversammlung Polizeikommissar Albert Schreiber, zu seinem Stellvertreter Georg Lude, Oberküfer bei der Ulmer Brauerei-Gesellschaft (Münsterbrauerei), gewählt.
Der nun 257 Mitglieder zählende Musikverein brachte in der ganzen Vorstadt Anschlagkästen an, in denen wöchentlich zu sehen war, wann und wo die Proben stattfanden, welche Veranstaltungen bevorstanden und die „Vorschläge”, d.h. in welchem Lokal – natürlich dem eines Mitglieds – man sich allsonntäglich traf.
Besondere Beachtung wurde im August dem Sommer- und Kinderfest im Mack‘schen Garten mit vorhergehendem Umzug zuteil (1931 von den Söflinger Vereinen gemeinsam veranstaltet).
Bei der Weihnachtsfeier zählte das Blasorchester 32, das Streichorchester 20 Mann.
Die Aktiven des Musikvereins 1928:

hinten: Willy Schick, Albert Groß, Karl Benz, Erich Beuchlen, Karl Daur, Gotthilf Bittner, Hans Schmidt, Karl Ungerer, Albert Kächele, Wilhelm Schmidt, Paul Nietzer, Konrad Walter; mitte: Willy Ströhle, Jakob Jakober, Eugen Strobel, Josef Keller, Fritz Ruoß, Erwin Maier, Ludwig Hirning, Eugen Gansloser, Georg Ströhle, Paul Mohring, Heinrich Gansloser, Karl Weber; vorne: Eugen Spieß, Gottfried Mall, Robert Trump, Gottlob Bausch, Kapellmeister Adolf Biensch, Andreas Jakober, Alfred Röthel, Willy Wäger, Karl Dauner
Nach wiederholten Spenden (u. a. vier Fanfaren) wurde Georg Klossika, gewerblicher Heizer, 1929 zum ersten Ehrenmitglied ernannt.
In einer großangelegten Werbewoche im Mai mit zahlreichen Stand- und Saalkonzerten, einem Fackelzug – inklusive großem Zapfenstreich, einem Ausflug nach Oberelchingen und sowie einem Ball konnten viele neue Mitglieder geworben werden. Insgesamt traten in diesem Jahr 112 Personen dem Verein bei.

Die Standkonzerte im Klosterhof (v. d. Spritzenhaus) fanden 1929 reges Interesse
Beim Bezirksmusikfest in Herrlingen beteiligten sich die Söflinger musikalisch am Festbankett.
Im Sommer marschierte der Musikverein im Festzug des vom „Schwäbischen Sängerbund“ veranstalteten „32. Allgemeinen Liederfests” mit. Offensichtlich erzeugte dies bei einem der Zuschauer, dem Inhaber der Fleischwarenfabrik Zimmermann in Thannhausen, großen Eindruck. Kommerzienrat Zimmermann machte dem Dirigenten Biensch ein Stellenangebot, welches die Leitung der Werkskapelle miteinschloß. Weil dessen Anstellung im „Centraltheater” mit dem Aufkommen des Tonfilms immer unsicherer wurde, sah sich der musikalische Leiter quasi zur Annahme gezwungen. In Söflingen ließ man den verdienstvollen Freund nur schweren Herzens ziehen – der Kontakt mit dem späteren Musikdirektor in Bad Säckingen sollte nie abreißen.
Als Nachfolger wurde unter fünf Bewerbern Obermusikmeister a. D. August von Nessen (61 J.) gewählt, der vor dem 1. Weltkrieg das Musikkorps des 12. Bayerischen Infanterieregiments „Prinz Arnulf“ in Neu-Ulm und 1922-30 den Orchesterverein Ulm/Neu-Ulm geleitet hatte, bzw. noch leitete.
Festlich und stilvoll fand im „Ochsen” die erste „hochoffizielle“ Silvesterfeier der Aktiven mitsamt ihren Damen statt.